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Was ist Awareness?

Awareness meint Bewusstsein und Achtsamkeit in Bezug auf Macht- und Diskriminierungsverhältnisse. Es bezeichnet einen achtsamen und bewussten Umgang mit Betroffenen von (sexualisierter) Gewalt und Diskriminierung. Awareness Strukturen schaffen Angebote, um Betroffene parteilich und intersektional zu unterstützen. Neben der konkreten Unterstützung gehört Prävention, welche Fortbildungen und Aufklärung umfasst, dazu. (Sexualisierte) Gewalt und Diskriminierung werden nicht als Einzeltaten/-handlungen gesehen, vielmehr wird eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen wie Rassismus, Transfeindlichkeit, Sexismus und Ableismus einbezogen. Denn es handelt sich nicht um individuelle Einzelfälle, sondern diese sind Bestandteil und Ergebnis gesellschaftlicher Strukturen.

Global gibt es verschiedene Awarenessansätze. Wir beziehen uns auf den Awareness Ansatz, der 2007 in Deutschland entstand. Im Zuge des Protestes gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm gründeten Feminist:innen die ›Antisexist Contact- and Awarenessgroup‹. Sie stellten den über 15.000 Menschen, die sich in den Protestcamps rund um Heiligendamm aufhielten, ein Ansprechzelt und einen Safer Space zur Verfügung. Der Awareness Ansatz kommt in Deutschland aus der queer-feministischen Bewegung. Als Bewegungsansatz ist er ein machtkritischer, kollektiver Ansatz. Awareness bedarf einer Machtanalyse und kann in der Selbstreflexion und in der Reflexion in der Gruppe/im Kollektiv gelernt werden. Dabei sind Parteilichkeit und Definitionsmacht zwei grundlegende Haltungen von Awareness. Der Awareness Ansatz basiert auf einer Betroffenenzentrierung. Dieser Ansatz wurde von Betroffenen gemeinsam mit Verbündeten entwickelt und es wurde ein kollektives Erfahrungswissen geschaffen.  Außerdem stehen hierbei die Bennenungen und Bedürnisse betroffener Personen im Zentrum.

Auf der Fusion ist eine Awareness Crew vor Ort, um euch zu unterstützen, wenn ihr (sexualisierte) Gewalt oder Diskriminierung jeglicher Art erlebt habt. Dabei sollt ihr nicht denken, ihr habt ja nur eine „Kleinigkeit“ erlebt. Jede (sexualisierte) Gewalt oder Diskriminierung, nach der ihr euch unwohl fühlt, ihr erschüttert seid oder ihr noch darüber nachdenkt, ist es wert, besprochen zu werden.
Ihr könnt auf Unterstützung von uns zählen.

Die Awareness Crew ist rund um die Uhr in wechselnden Schichten für euch erreichbar- vom Festivalstart am Mittwoch bis Dienstag nach dem Festival. Ihr könnt uns erreichen über die Info Points, den Haupt-Tresen neben der Turmbühne, über die Security, das Festivalbüro, die Telefonnummer im Programmheft und auf den ausliegenden Awareness-Flyern.
Im Grunde können alle Menschen angesprochen werden, die ein Funkgerät dabei haben oder an einem Standort arbeiten, an dem es eine Telefonverbindung gibt.
Wir kommen zu dem Punkt, wo ihr gerade seid und holen euch ab. Unsere Awareness Crew besteht überwiegend aus weißen, abled Personen, sodass wir im Fall von Verschränkungen mit Rassismus oder Behinderungen wenig Erfahrungswissen in die Unterstützung einbringen können. Wir versuchen, euch trotzdem bestmöglich zu unterstützen.

Unterstützung kann bedeuten, über Geschehenes zu sprechen, wie es euch gerade geht oder das Äußern der eigenen Bedürnisse, damit es euch wieder besser geht.
 Wir haben auch ein offenes Ohr für Ärger und Kritik. Wenn ihr durch Personen auf dem Fusion-Gelände Diskriminierung oder (sexualisierte) Gewalt erfahren habt, können wir auch mit diesen reden oder sie konfrontieren. Wir können auch eingreifen, wenn es darum geht, eure Zelt- (Bus-) Situation wieder sicherer zu gestalten. In Rücksprache mit dem Kulturkosmos (der Veranstalter:in des Fusion Festivals) können Personen die (sexualisierte) Gewalt ausgeübt haben, auch des Festivalgeländes verwiesen werden. Wir werden versuchen euch bei allen Angelegenheiten zu helfen, soweit es in unserer Macht liegt.

Awareness Arbeit auf deM Fusion Festival

Vorurteile in Awarenesskontexten begegnen

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Ich merke es, wenn ich die Grenzen einer anderen Person überschreite, diskriminiere oder (sexualisierte) Gewalt ausübe.

Als Teil einer Gesellschaft mit verschiedenen strukturellen und institutionellen Unterdrückungsmechanismen müssen wir davon ausgehen, dass auch wir diese Mechanismen reproduzieren. Das ist meist  gar keine böse Absicht, sondern hat oft mit eigenen Privilegien zu tun, sodass bestimmte Diskriminierungserfahrungen einfach nicht zu unserem Alltag gehören und wir sie deswegen auch wenig nachvollziehen können. Wir merken es in vielen Fällen nicht einmal selbst, wenn wir Grenzen anderer Personen überschreiten, diskriminieren oder Gewalt ausüben, weil es so internalisiert ist. Ziel ist es hier, das eigene Handeln und Denken immer wieder zu reflektieren und langfristig zu verändern. Frag aktiv nach, was an deinem Verhalten eine andere Person ggf. angegriffen oder verletzt hat. Versuche zu verstehen und akzeptiere, was du vielleicht noch nicht ganz verstehst. Übernimm Verantwortung, bleib offen für konstruktive Kritik und sieh es als Lernprozess für ein besseres Miteinander.

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Ich kenne meine Freund:Innen. Die sind nicht sexistisch oder gewalttätig.

Die eigenen Freund:innen mag mensch meist, vertraut ihnen und kennt sie gut. Da ist es schwer vorstellbar, dass sich eine befreundete Person (sexistisch) diskriminierend verhält oder sogar (sexualisierte) Gewalt ausübt.
„Die sind doch voll nett!“
Kommt es trotzdem vor, wird oft erst mal gezweifelt oder hinterfragt:
„Das kann nicht sein, ist das wirklich passiert?“
Oft greifen Entschuldigungs- oder Verharmlosungsmuster:
„Das war bestimmt nicht so gemeint!“, „Das wurde falsch verstanden!“, „Das kann nicht so schlimm gewesen sein!“, „Das wird doch völlig übertrieben dargestellt!“
Fakt ist, dass Übergriffigkeiten sehr häufig vorkommen und die Anzahl von wirklicher Verleumdungen verschwindend gering ist. Menschen können einfühlsam, nett, lustig und super toll sein und sich trotzdem manchmal (unabsichtlich) diskriminierend oder gewaltvoll verhalten. Wichtig ist, dass wir unsere Freund:innen dazu anhalten in diesem Fall Verantwortung zu übernehmen und im Sinne der betroffenen Person zu handeln.

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Das war doch nur Spaß. Alles nicht so gemeint.

Kann sein, dass es für eine Person Spaß war, aber was ist mit der anderen Person? Wer lacht und über wen wird gelacht? Wer kann sich Raum nehmen und wem wird zugehört? Wer kann sprechen und Witze reißen und wer hat diesen Raum nicht oder wird eher in die Defensive gedrängt? Ein Raum, in dem manche sich wohlfühlen, kann zugleich für andere ein einschränkender Raum sein, das hat oft mit unterschiedlichen Privilegien zu tun. Deswegen ist es gut, sich der eigenen gesellschaftlichen Positionierung in Gruppen, dem Umfeld, der Gesellschaft bewusst zu sein und darauf zu achten, dass (möglichst) alle teilhaben können. Auch Dinge, die vermeintlich nicht so gemeint sind, können verletzen. Gerade wenn Aussagen stereotype reproduzieren, musste sich die betroffene Person diese wahrscheinlich schon oft anhören und ist wahrscheinlich ziemlich genervt/verletzt.

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Es ist vorbei. Jetzt ist aber auch wieder gut.

Wenn ein Vorfall schon einige Zeit zurück liegt, glauben Viele, dass es jetzt aber „wieder gut“ sein muss. Es wird erwartet, dass die Person wieder zur Tagesordnung übergehen kann und nicht mehr so viel darüber gesprochen werden muss. Die Annahme, dass die Folgen z.B. von (sexualisierter) Gewalt und Diskriminierung nur eine bestimmte Zeit andauern dürfen wird auch in der Medizin reproduziert und unterteilt, was noch als „normal“ oder schon als „krank“ gilt. Nach einem Todesfall darf laut Medizinlehrbuch nur ein halbes Jahr getrauert werden, sonst ist die Trauer krankhaft. Doch die Folgen eines Todesfalls einer engen Person kann betroffene Personen mehr oder weniger stark ein Leben lang begleiten und immer wieder in Form von Erinnerungen, Bildern oder Gefühlen auftauchen. Genau so geht es Betroffenen, die Gewalt- oder Diskriminierungserfahrungen gemacht haben. Ob das Erlebte abgeschlossen ist oder ob alles „wieder gut“ ist, kann allein die betroffene Person sagen.


Quelle: Vgl. Wiesental, Ann: Antisexistische Awareness - Ein Handbuch, 2. Aufl, Unrast Verlag, Münster 2017.

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